(ae) Eine heterogene Zusammensetzung der Kinder in den Klassen gehört für die Schule seit jeher zum Alltag: Jedes Kind ist anders, und dies nicht nur in Bezug auf seine Leistungen und kognitiven Fähigkeiten.

Schulen in der Schweiz sind dazu verpflichtet inklusiv zu sein: Sie sollen und wollen damit den Lernenden mit all ihren Stärken und Schwächen, persönlichen Hintergründen und individuellen Bedürfnissen, die deren Schulalltag prägen, gerecht werden. 

Conny Zweiacker arbeitet seit diesem Schuljahr als Heilpädagogin an der Oberstufe Zurzach und begleitet, fördert und hilft in diesem Sinne denjenigen Kindern, die besondere Bedürfnisse haben.

Sie selbst, so erzählt sie, war als Kind an einer Hauptschule und hatte Lernschwierigkeiten. Dank ihrer Eltern und unterstützender Lehrpersonen habe sie all ihre Ziele verwirklichen können, weil sie die nötige Hilfe und Motivation durch Förderung und Forderung bekommen habe. Weil sie genau diese Chancen auch anderen bieten können wollte, wählte sie schliesslich den Beruf der Heilpädagogin. Damit wir mehr über sie und ihre Arbeit erfahren können, hat sie sich zu einem Interview bereiterklärt.

Q:        Du hast sichtbar Freude an deiner Arbeit hier an der Oberstufe Zurzach. Aber war die schulische Heilpädagogik dein erster Berufswunsch?

A:        Mein erster Berufswunsch war es nicht, weil man als Kind ja noch gar nicht weiss, welche Berufe es gibt. In der Primarschule wollte ich Lehrerin werden, aber es war mir zu peinlich, das vor meinen Mitschülern zuzugeben. Deswegen habe ich das letztlich wieder verworfen.

In den Jahren danach wollte ich Reitlehrerin werden, habe in Wien eine Fachausbildung in Pferdewirtschaft gemacht und in der Zeit in einem Reit- und Therapiezentrum gearbeitet. Dabei änderte sich mein Wunsch wieder: von Reitlehrerin auf Reittherapeutin. Dafür musste man aber vorher einen sozialen Beruf erlernt haben, deshalb habe ich nach der Matura studiert und den Bachelor als Sonderschullehrerin gemacht. Das Arbeiten mit den Kindern fand ich so toll, dass ich das weitermachen wollte. (Die Reittherapeutenausbildung habe ich trotzdem noch gemacht.)

Q:        Seit wann arbeitest du denn dann als Heilpädagogin?

A:        Ich habe im September 2011, also mit 23, angefangen. In Wien war es damals so, dass in eine normale Regelschulklasse bis zu sechs Schüler*innen mit «Lehrplan der allgemeinen Sonderschule» integriert werden konnten. Ich war fest in einer Klasse bei meinen sechs integrierten Kindern.

Q:        War das nicht schwierig für dich mit so vielen Kindern mit Förderbedarf?

A:        Nein, das Team war super, wir hatten eine tolle Zusammenarbeit. Ich wusste immer, was der Fachlehrer macht, und habe das für meine Kinder auf die Basics vereinfacht.

Als ich im Sommer 2016 in den Aargau gekommen bin, war es für mich erstmal ein Schock, weil hier an den Regelschulen ein Heilpädagoge nur einzelne Stunden für Kinder in verschiedenen Klassen zur Verfügung hat und die Klassenlehrperson den ganzen Rest übernehmen muss. Ich konnte mir schwer vorstellen, wie das dann funktionieren soll, nachdem ich sonst «meine» Kinder immer vollständig begleitet hatte. Deshalb habe ich lieber in einer separativen Schule gearbeitet. Bis im Juli dieses Jahres habe ich sieben Jahre an der Aargauischen Sprachheilschule an der Mittelstufe unterrichtet.

Q:        Konntest du mit deiner Ausbildung aus Österreich direkt in der Schweiz arbeiten?

A:        Nicht ganz. In Österreich hatte ich Bachelor gemacht, in der Schweiz musste ich noch den Master nachstudieren, um hier arbeiten zu können, aber das ging berufsbegleitend während der ersten zwei Jahre.

Q:        Wie bist du ausgerechnet an die Oberstufe Zurzach gekommen?

A:        Im letzten Schuljahr habe ich an der Oberstufe Zurzach wegen einer Schülerin von mir hospitiert, die in eine 7. Klasse re-integriert wurde. Dabei habe ich mich im Kollegium sofort wohlgefühlt und, weil ich (wie ich Wien auch) wieder an einer Oberstufe arbeiten wollte und noch dazu der Fahrtweg nach Bad Zurzach kürzer war als an meinen damaligen Arbeitsort, habe ich beschlossen, meine Chance hier zu probieren.

Q:        Was gehört denn allgemein zu deinem Aufgabenfeld? 

A:        Ich unterstütze Kinder mit Lernschwächen und Schwächen in der Kognition, passe individuell Lernziele in einzelnen Fächern an, die den Schüler*innen sonst zu schwierig wären. Ausserdem kann ich bei Diagnosen wie AD(H)S oder Autismusspektrum den Lehrpersonen Tipps für den Unterricht geben oder beraten, wenn der Verdacht besteht, falls Verhaltensweisen oder Auffälligkeiten in die genannte Richtung gehen. In solchen Fällen komme ich in den Unterricht, kläre über die nächsten Schritte auf und informiere, wo was abgeklärt werden kann.

Matheschwäche und Lese-Rechtschreibschwäche kann ich selbst testen; die offiziellen Diagnosen werden dann in Absprache mit dem schulpsychologischen Dienst gestellt.

Q:        Das ist ja ein sehr breites Tätigkeitsfeld. Was ist denn im Moment dein Schwerpunkt?

A:        Tatsächlich mache ich mache all das.  An der Realschule sind die meisten mit diesen Schwierigkeiten, aber sowohl Lese-Rechtschreibschwäche und Matheschwächen als auch AD(H)S und Autismusspektrum gibt es auch in der Sekundar- und Bezirksschule.

Q:        Welche besonderen Herausforderungen hat die Arbeit als Heilpädagogin für dich persönlich? Gibt es etwas, was dir besonders schwerfällt?

A:        Die Versagensängste bei den Schüler*innen sind oft schon sehr gefestigt. Das wegzubekommen, Motivation und Aussicht zu geben, ist besonders bei Teenies schwer. Lernen hat für sie in dem Alter oft nicht gerade so einen hohen Stellenwert.

Q:        Was magst du an deinem Job am meisten?

A:        Dass ich helfen kann. Es hat wohl jeder Lehrer ein Helfersyndrom und Heilpädagogen wohl ein noch ausgeprägteres. Auch gefällt mir, dass ich meinen Kollegen und Kolleginnen zur Seite stehen darf, und dass ich mir die Zeit nehmen kann, Beziehung mit den Kindern aufzubauen, und so die Lernprozesse stärken kann.

Q:        Es gibt ja viele Klischees über Lehrer und ihren Beruf. Gibt es das ähnlich auch bei Heilpädagog*innen?

A:        Negative Klischees gibt es eigentlich nicht, glaube ich. Ich höre nur oft: «Boah, also nein, wie du das aushältst… das wäre nichts für mich, du hast ja nur die Schwierigen…» Dabei ist es für mich persönlich einfach nur der beste Job der Welt, ich liebe meine Arbeit, es ist ein Traumjob und ich liebe es, mit den „Querköpfen“ (lieb gemeint) zu arbeiten. Ich muss mich nicht wie die Lehrpersonen an einen Lehrplan halten und kann individualisiert arbeiten.

Q:        Wenn du zaubern und aus deiner besonderen Sicht als Heilpädagogin etwas an der Schule oder dem System ändern könntest: Was wäre das?

A:        Ich würde mir Niveauunterricht wünschen, integriert über alle in der Sek, von der Bezirksschule bis zu den Sonderschülern in allen Fächern. Ich stelle es mir so vor, dass man dann nicht bei der fixen Klasse bleibt, sondern sowas wie Leistungsgruppen macht, nach Niveau für jedes Fach. Dann wäre jemand, der vielleicht in der Bez schwach in einem Fach ist, nicht der Schlechteste in seiner Leistungsgruppe. So hätten die Kinder die Chance, sich immer wieder hochzuarbeiten. Jemand, der im Lernen schwach ist, aber in kreativen Fächern oder Sport stark, könnte sein Potential dort ausschöpfen.

Q:        Gibt es sonst noch etwas, was man über dich wissen sollte?

A:        In meiner Familie war ich die erste mit akademischem Abschluss, vor mir hat das in der Familie niemand gemacht – und das, obwohl ich Lernschwierigkeiten hatte; sie haben es mir trotzdem ermöglicht. Ich möchte anderen Kindern auch so etwas ermöglichen. Natürlich kann ich nicht allein die Welt retten. Aber vielleicht ist es für den einen oder anderen Schüler einfach wichtig, dass ich da war.