Schulsozialarbeit an der Oberstufe Zurzach
(ae) Schüchtern und etwas unsicher betritt eine Schülerin das Büro der Schulsozialarbeit. Sie ist zum ersten Mal hier und weiss noch nicht genau, was sie erwartet. Sie ist gekommen, weil sie jemanden zum Reden braucht, nachdem sich in den letzten Monaten und sogar schon Jahren in ihrem Leben immer wieder herausfordernde Situationen aufgebaut haben, deren emotionale Last auch in der Schule spürbar wird und Einfluss auf sie nimmt. Im Zimmer nimmt die Schulsozialarbeiterin sie mit ruhiger Stimme in Empfang, bietet ihr einen Platz an und baut mit ihrem freundlichen und zugleich zurückhaltenden Blickkontakt sofort eine Atmosphäre von Vertrauen auf.
Es dauert nicht lang, schon ist das Gespräch in vollem Gange. Es dreht sich vor allem um schwierige zwischenmenschliche Verhältnisse. Gemeinsam machen sich die beiden an eine Personenaufstellung, ordnen die Namen der wichtigsten Menschen aus dem Leben der Schülerin rund um sie selbst auf einem Papier an, von Familienmitgliedern bis zu Freundinnen, näher und weiter weg – je nach emotionaler Nähe. Sie verbinden die Namen mit unterschiedlich kategorisierten Linien, um die Art der Beziehungen zueinander und zu der Jugendlichen aufzuzeigen. Mit dem gemeinsamen Reflektieren legt die Schulsozialarbeiterin professionell einen emotionalen Grundstein für die weitere Zusammenarbeit, und es funktioniert: Das Vertrauen ist da, ein weiterer Termin wird vereinbart mit dem Angebot, dem jungen Mädchen mit offenem Ohr zur Seite zu stehen, ihr Raum für Austausch zu geben und Sorgen zu besprechen.
Helen Süpfle, die hier so beeindruckende Einblicke in ihren Berufsalltag ermöglichte, ist seit diesem Jahr Teamleiterin der Schulsozialarbeit mit dem Hauptstandort an der Oberstufe Zurzach.
Nach ihrer vierjährigen Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin, die sie 2008 in Deutschland abgeschlossen hatte, war sie mehrere Jahre als Sozialpädagogin in der Schweiz tätig – mit schwerstmehrfach beeinträchtigten Erwachsenen in der Tagesstruktur und auch mit schwerstmehrfach beeinträchtigten Kindern in einem Schulinternat. Bevor sie hierher nach Zurzach kam, leitete sie viele Jahre lang eine Wohngruppe in einem Kinderheim für normal Begabte, wo sie Erfahrungen mit Kindern von drei Jahren bis hin zu jungen Erwachsenen von 18 Jahren sammeln konnte. Zusätzlich zu ihrer vielseitigen theoretischen Ausbildung, die auch die CASs (Certificate of Advanced Studies) als Praxisanleiterin für Sozialpädagogikstudierende, zum Leiten von Teams und zur Fachpädagogin für Psychotraumatologie umfasst, trugen all die gesammelten Erfahrungen ihrer Berufsjahre dazu bei, dass sie ihr breites Wissen für ihre neue Stelle als Schulsozialarbeiterin zur Anwendung bringen kann.
Im Gespräch berichtet sie über ihre neue Arbeit an der Schule.
AE: „Was sind neue Herausforderungen bei deiner Stelle hier bei uns?“
HS: „Bisher habe ich noch nie an einer Schule gearbeitet. Ich werde meine Kenntnisse in den kommenden Wochen vertiefen und mir einen umfassenden Überblick über die etablierten Abläufe und Vorgehensweisen verschaffen. Auch die Arbeit mit ganzen Klassen stellt für mich eine neue, spannende Herausforderung dar.“
AE: „Was ist anders als bei deinen bisherigen Arbeiten?“
HS: „Der Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern ist nicht mehr so nah wie damals zu den Kindern im Kinderheim. Dafür habe ich jetzt mehr Zeit für die einzelnen Jugendlichen, wenn sie bei mir sind, was ich sehr bereichernd finde. Hier mache ich keine Fallführung, sondern stehe mehr beratend und vermittelnd zur Seite.“
AE: „Hast du dich speziell auf die aktuelle Arbeit vorbereitet?“
HS: „Ich habe mich intensiv vorbereitet, unter anderem durch Gespräche mit meiner erfahrenen Kollegin im Bereich Schulsozialarbeit, umfassende Internetrecherchen sowie die Lektüre einschlägiger Fachliteratur.“
AE: „Was braucht ein(e) gute SSA? Welche Fähigkeiten und Kenntnisse sollte sie mitbringen?“
HS: „Neben guten Kenntnissen in Pädagogik und Psychologie benötigt man die Fähigkeit, Schüler*innen in Krisen professionell beraten und gemeinsam Lösungsansätze finden zu können. Man sollte anpassungsfähig sein, sich selbst und andere reflektieren können, Empathie, Geduld und auch Resilienz besitzen, damit man schwierige Situationen händeln kann, ohne entmutigt zu werden. Ausserdem ist es wichtig, dass man vertrauenswürdig ist, damit die Jugendlichen sich überhaupt sicher fühlen und wissen, dass man sie ernstnimmt, wenn sie einem ihre Probleme anvertrauen.
Da man viel mit Lehrpersonen, Eltern und Fachstellen zusammenarbeitet, ist Kooperationsfähigkeit notwendig.“
AE: „Es gibt ja manchmal persönlich schwierige oder belastende Themen. Wie gehst du für dich damit um?“
HS: „Als ich jünger war, war es manchmal schwierig, Dinge zu verarbeiten. Vieles hat mich noch sehr beschäftigt und mir auch privat Energie geraubt. Mittlerweile habe ich einen professionellen emotionalen Abstand zu den Themen, die mir begegnen. Wenn mir dann doch etwas nachgeht, nutze ich die Supervisionen und generell die Gespräche im Team, um Erlebtes zu verarbeiten. Es hilft auch, mein Fachwissen zum jeweiligen Thema aufzufrischen.
Für bestimmte Themen in der Arbeit mit Menschen gibt es oftmals keine einfache Lösung, sodass man sich manchmal hilflos fühlt. Dann ist es wichtig, nicht die Verantwortung für eine garantierte Lösung zu übernehmen, wenn dies einfach nicht möglich ist. Auch dafür hilft Fachwissen, zum Beispiel über Traumafolgestörungen, Entwicklungsstörungen, psychische Erkrankungen und und und …“
AE: „Wie sorgst du für dich selbst?“
HS: „Ich gebe mir Mühe, mir Zeit für die Dinge, die ich tue, zu nehmen. Ich setze Prioritäten, arbeite eines nach dem anderen ab. Auch die gute Zusammenarbeit mit dem Team ist für mich kraftspendend. Am meisten aber hilft mir mein erfülltes Privatleben, meine Familie, Sport, gutes Essen … und wenn ich ausgeschlafen bin.“
AE: „Als Lehrperson kennt man Situationen, zu denen man in der Ausbildung etwas gelernt hat und dann auf einmal denkt: Eigentlich funktioniert das alles gar nicht. Geht dir das auch manchmal so?
HS: „In der Ausbildung haben wir früher viele Kommunikationstechniken, Führungsinstrumente und solche Dinge gelernt. In der Praxis kamen mir diese oftmals viel zu technokratisch vor. Es sind die Beziehungen, die es ausmachen. Egal ob als Führungskraft, als Bezugsperson in einem Kinderheim, als Ausbildnerin von Studenten oder jetzt eben als Schulsozialarbeiterin. Soziale Arbeit ist Beziehungsarbeit. Nur Techniken und Werkzeuge allein bringen nichts, wenn es zwischenmenschlich nicht ernst und gut gemeint ist.“
AE: „Was wünschst du dir von deinem Umfeld – Kollegen und vielleicht Eltern –, damit du als SSA kompetent agieren kannst?“
HS: „Es wäre schön, wenn ein regelmässiger Austausch mit den Lehrpersonen darüber stattfinden würde, ob es Bedürfnisse von Seiten der Schüler*innen gibt. Damit wir Präventionsmassnahmen oder Interventionen bei Konflikten sinnvoll durchführen können, brauchen wir eine gute Zusammenarbeit. Gleichzeitig sollte aber klar sein, dass wir als Schulsozialarbeit keine rein erzieherische oder womöglich sogar disziplinarische Rolle übernehmen; beim Umgang mit persönlichen oder sozialen Problemen der Jugendlichen haben wir ganz andere Schwerpunkte im Vergleich zu Lehrpersonen.
Von den Eltern erhoffe ich mir die Bereitschaft, offen über Anliegen ihres Kindes zu sprechen, und Vertrauen in meine Arbeit. Wir machen als SSA nicht nur Krisenintervention, sondern verstehen uns auch als präventive und stabilisierende Kraft im Schulleben. Auch können wir Partner in der Erziehungsarbeit sein; wir können Probleme gemeinsam besser lösen, wenn Massnahmen zu Hause mitgetragen werden und von dort mitgewirkt wird. Gleichzeitig ist es aber auch von Bedeutung, dass die Eltern verstehen, dass die Gespräche der Kinder mit uns vertraulich sind und manche Dinge nicht mit den Eltern geteilt werden können.“
AE: „Möchtest du sonst noch etwas loswerden oder erzählen, was man über dich wissen sollte?“
HS: „Ich finde, ich habe hier an der Schule Zurzach einen grossartigen Arbeitsort gefunden und freue mich über die neuen Herausforderungen und Lernfelder, die ich hier vorfinde. Ich möchte mich bei meinem Team bedanken, dass mich so gewissenhaft und gut eingearbeitet hat, und auch bei all den Lehrkräften, die mich willkommen heissen und mir ihre Türe aufmachen.“