(ae) Mittagspause. Natel raus. Tiktok an. Sieht witzig aus. Klick aufs Video. Zu viel Text. Weiterswipen. Eine Lehrerin kommt, ein kurzer Blick nach oben, dann zurück aufs Handy. Nächstes Video.
Für viele Jugendliche ist es Normalität geworden, sich täglich über Stunden hinweg auf digitalen Plattformen zu bewegen. Dabei wirken sie konzentriert und vereinnahmt von der Parallelwelt, und dennoch ist ihre Aufmerksamkeitsspanne dabei so kurz: Wenn sich nicht nach wenigen Sekunden der Reiz eines Videos entfaltet, wird es gern weggescrollt.
Ort der Entschleunigung
Schule ist daher mehr denn je in der Verantwortung, den Schülerinnen und Schülern auch ein Ort der Entschleunigung zu sein, in dem Informationen und Unterhaltung nicht mit einem Klick auf dem Präsentierteller serviert werden. «Kultur – cool tue?» ist das Jahresmotto der Oberstufe Zurzach, welches in der ersten Woche nach den Frühlingsferien ein weiteres Mal voll zum Tragen kam: Für alle Klassen auf allen Stufen war jeweils ein Theaterbesuch an der Kaiserbühne organisiert worden.
Emotional und packend
Zwei verschiedene Werke standen dabei auf dem Programm: Für die 1. Oberstufe «Erdbeeren» – über die Trennung der Eltern aus der Sicht eines Kindes –, und für die 2. und 3. Klasse «Eine Frage des Anfangs», eine komplexe Geschichte, die alltägliche Probleme eines Paares in der westlichen Welt und parallel dazu das Dasein verschiedener Menschen «fernab» miteinander verknüpfte.
Beide Stücke forderten die jungen Besucherinnen und Besucher heraus, einen Schritt aus der digitalen Schnelllebigkeit heraus zurückzutreten und sich tief in die emotionalen Abgründe der Protagonisten mitnehmen zu lassen. Sehr gefühlvoll und direkt trafen die Schauspieler wunde Punkte der jungen Zuschauenden: Obwohl die anstehende Trennung der Eltern im Stück «Erdbeeren» bereits von Beginn an bekannt war, liess der Moment, in dem diese tatsächlich vollzogen und vom Kind realisiert wurde, einigen Jugendlichen im Auditorium die Tränen in die Augen schiessen. Doch trotz des gefühlten Schlags in die Magengrube durften die Kinder mit dem versöhnlichen Ende voller Hoffnung in die Zukunft der fiktiven Personen das Theater verlassen.
«Eine Frage des Anfangs» regte dagegen auf unaufdringliche Art und Weise zu Fragen und spannenden Gedanken über unsere eigene Verantwortung in unserem Handeln an und knüpfte damit auch an Themen an, die im Unterricht der höheren Klassen bereits behandelt worden waren – Armut, Kolonialismus, Globalisierung, Klimawandel und vieles mehr. Durch die Darstellung der persönlichen Schicksale trafen diese Inhalte die Jugendlichen jedoch auf einer anderen, emotionaleren Ebene, als dies der gewohnte Unterricht in der Schule wohl ermöglichen kann.
Mit kreativen Mitteln
Auch wenn oder gerade weil die komplexen Erzählstrukturen und die Rollenwechsel der Schauspieler den Schülerinnen und Schülern viel Konzentration abverlangten, dürfte dieser Theaterbesuch – für manche der erste in ihrem Leben – von grossem Wert gewesen sein. Während im Film durch einen Wechsel der Kulisse, der Räumlichkeiten, Bildbearbeitung, Makeup und vieles mehr die Realität der Handlung, die Entwicklung der Protagonisten sowie die Szenenwechsel klar und deutlich gezeigt werden können, ist es gerade der Charme der Kaiserbühne, im begrenzten Raum künstlerisch kreativ werden zu dürfen: Da kann ein Haufen von Kissen und Decken ein Sofa oder ein Bett, aber auch mal ein Erdbeerbeet sein.
Neue Impulse und Perspektiven
Was für regelmässige Theaterbesucher eine Selbstverständlichkeit sein mag, ist für den ungeübten jungen Zuschauer ein neuer Prozess der Erkenntnis, wie sich teilweise in der angeschlossenen Fragerunde zeigte. Bei dieser Gelegenheit konnten die Schülerinnen und Schüler aber nicht nur ihre Fragen zu den Geschichten und deren Inszenierung klären, sondern erhielten auch Einblicke in die Hintergründe der Schauspielerei als Beruf: Vom ersten Interesse an der darstellenden Kunst über die Schauspielschule bis zu Lerntechniken für Texte, was bei einigen Jugendlichen Bewunderung über die vielfältigen Herausforderungen des Berufs hervorrief.
Die Auseinandersetzung mit den Stücken und der Austausch mit den Darstellern zeigte zweifellos, dass Kultur zwar mit einer gewissen Anstrengung verbunden sein kann, da sie nicht immer so leichte Kost darstellt, wie sie die digitale Welt zur Verfügung stellt, gleichzeitig jedoch mögliche eigene Probleme und sogar globale Themen in einem neuen Licht erscheinen lässt, das Jugendliche zu bereichern und neue Impulse zu setzen vermag, wenn sie bereit sind, sich darauf einzulassen.